Lesezeit: 4 MinutenEscape Räume, Escape Spiele, eigene Escape Räume in Schulprojekten oder zu Hause. Kaum eine Spielekategorie hat in den letzten Jahren so stark an Fans gewonnen, wie die Escape Spiele. Befeuert wurde das Ganze natürlich durch die grandiose EXIT-Reihe bei Kosmos des Autorenpaares Inka und Markus Brandt. In der Folge gab es eine Vielzahl weiterer Veröffentlichungen und auch das Segment der Krimispiele wurde neu belebt. Entscheidend für den großen Erfolg ist auch, dass Escape Spiele nicht nur von uns Geeks gespielt werden, sondern auch als „Zeitvertreib“ von Nichtspielern eine breite Akzeptanz erfahren. Gerade zu Anlässen wie Silvester oder Geburtstagen spielen sich viele gerne durch ein Escape Spiel.
Nun geht Board&Dice mit The Awakening aus meiner Sicht den nächsten logischen Schritt und verheiratet ein Escape Game mit einem anderen Trend in der Brettspielindustrie – dem Storytelling. Ich hatte bereits bei Ankündigung von den Plänen berichtet, konnte nun aber auch einen ersten Eindruck gewinnen, da Board&Dice mir den finalen Prototyp zugesendet hat.
In The Awakening lenken wir gemeinsam die Geschicke eines Vaters, der mittels eines spirituellen Rituals versucht, seine Tochter aus dem Koma zu erwecken. Dabei dringt er – ich denke soviel darf ich verraten – in eine Art Zwischenwelt ein, bestehend aus Versatzstücken seiner und ihrer Erinnerungen. Das Spannende ist nun weniger, dass man im Verlauf des Spiels Rätsel lösen muss – das ist wohl von vornherein klar gewesen, sondern, wie man zu diesen gelangt.
Wie The Awakening gespielt wird
Anders als bei den existierenden Escape Spielen, bei denen man mehr oder weniger linear alle Rätsel in einer bestimmten Reihenfolge lösen muss, steht man bei The Awakening immer wieder vor Entscheidungen. Und diese Entscheidungen beeinflussen, ob welche Teile des Storybaums man sieht oder nicht bzw. wie es in der Story weitergeht. Dazu kommt, das man sich, ganz im Stile von T.I.M.E. Stories, an den einzelnen Orten auf eigene Faust umsehen muss.
Den Kern für das Vorankommen liefert das Spielbrett, eingeteilt in zwölf Segmente (A-D und 1-3), auf das dann die sogenannten Ortskarten (Location cards) gelegt werden. Dazu gibt es je Szenario eine vorgegebene Zahl an Aktionsmarkern als eine Art Zeiteinheiten (im ersten Szenario bspw. 6 an der Zahl) und eine Mapping Tabelle, die die einzelnen Bereiche des Spielbretts den Abschnitten im Storybuch zuordnet. Die Aktionsmarker werden eingesetzt, um die einzelnen Bereiche des jeweiligen Ortes zu untersuchen. Einen solchen Aktionsmarker platziert man auf dem untersuchten Bereich (bspw. Auf B2) und schaut auf der Mapping Karte, welcher Abschnitt aus dem Storybuch diesem zugeordnet ist und liest. Damit kann man als Gruppe entscheiden, was man sich anschaut und wofür man seine vorhandene Zeit (dargestellt durch die Aktionsmarker) einsetzt.
Der Aufbau zu Beginn des Spiels.
Sind die Aktionsmarker aufgebraucht, muss man eine der Untergangskarten (Doom cards) umdrehen, diese vorlesen und die Anweisungen befolgen. Die einzelnen Untersuchungen fördern dann – was sonst – Rätsel zu Tage, die man lösen muss, um in der Geschichte weiterzukommen.
Die Rätselkarten sind mit Symbolen versehen – kommt mir bekannt vor ;-). Die Symbole wiederum finden sich auch in der zugehörigen App, über die man die Lösungen einträgt. Somit bildet diese web-basierte App ein wichtiges Herzstück. Man erfährt hier, wie viele Karten man für das Rätsel benötigt, um es lösen zu können und kann sich Tipps oder sogar die Lösung anzeigen lassen, wenn alle Tipps nicht helfen. Wichtig ist, dass man ohne diese elektronische Hilfe das Spiel NICHT spielen kann, da ansonsten keine Lösungsmöglichkeiten beiliegen. Wer also diese Art der Unterstützung nicht mag, der sollte besser an der Seitenlinie bleiben.
Wie uns The Awakening gefallen hat
Man konnte es oben schon etwas durchhören, The Awakening hat uns durchaus gut gefallen. Es ist vor allem die Verbindung aus nicht linearem Storytelling und den guten Rätseln, die uns gefallen hat. Über die Qualität und Schwierigkeit der Rätsel möchte ich nicht abschließend urteilen, das überlasse ich dem Krimimaster Stephan, aber im Rahmen meiner bisherigen EXIT und Escape Erfahrungen waren die Rätsel absolut in Ordnung. Das eine oder andere war dabei, das uns etwas einfach vorkam, aber an anderen haben wir schon etwas länger getüftelt.
Das Story Buch führt uns Schritt für Schritt durch das Abenteuer…
Toll finde ich die Idee mit den Aktionsmarkern und dem „Open World“-artigen Konzept. Was wann und wie zuerst angesehen und untersucht wird, obliegt in den meisten Fällen uns. Auch können wir entscheiden, ob wir in dem eigentlich abgeschlossenen Raum noch länger verweilen oder ob man weiterziehen möchte.
Die Story steht bei The Awakening im Mittelpunkt, war für meinen Geschmack aber zunächst etwas abgegriffen. Mädchen im Koma, Vater führt geheimes Ritual durch und ab in die Traumwelt. Das ist mir bisher etwas wenig. Zudem erscheint das zunächst ernst erscheinende Thema des Mädchens im Koma zunächst nur im Hintergrund zu lauern. Aber wer weiß, was da noch kommt. Außerdem ist es ohnehin eine reife Leistung für den kleinen Verlag ein solch komplexes Machwerk zu stemmen. Dazu braucht es schon viel Konzentration und Hingabe. Die wurden aber auf jeden Fall investiert.
Hervorzuheben sind noch mal die Bilder auf den Karten, die die Stimmung meiner Meinung nach sehr gut einfangen und wären die Karten und Schriften etwas größer, dann könnte man sogar bei gedämpftem Licht spielen. Das ist jedoch kontraproduktiv, da die ohnehin düster gestalteten Bilder dann vielleicht nur schwer erkennbar wären.
Und noch etwas macht The Awakening besonders im Vergleich zu anderen Escape Spielen – kein Zeitdruck! Es gibt keine Uhr, die mitläuft, keinen Timer, keine Punkte oder Minuspunkte. Man spielt sich einfach in der gebotenen Geschwindigkeit durch das Szenario. Und wenn man mal kurz das Popcorn aus der Mikrowelle holen muss oder zum Pizza essen unterbricht, dann ist das auch kein Problem. Das hat einen weiteren Vorteil: Man kann den Spielstand speichern. Dazu gibt es am Ende der Regel eine Tabelle, in die man einträgt, welche Karten man hatte und welche Stellen man bereits untersucht hat und kann so das Spiel auch jederzeit vertagen. Bei einer Spieldauer von angegebenen 180 – 360 Minuten auch durchaus ein notwendiges Feature.
Nun bleibt nur noch die Sprachbarriere. Derzeit ist das Spiel nur auf englisch zu bekommen. Wer dessen nicht besonders gut mächtig ist, muss sich aber nicht grämen, sondern darf sich auf 2019 freuen. Der Kosmos Verlag wird dieses Spiel in Deutschland verlegen und steht schon in den Startlöchern. Und wenn sich ein so Escape-Game-erfahrener Verlag wie Kosmos für ein solches Spiel entscheidet, dann ist das schon auch ein Zeichen für Qualität.
Fazit zu The Awakening
Für mich ist die Kombination aus Story und Rätseln die nächste logische Weiterentwicklung der Escape Spiele. Bisher waren die Stories eher eine Art Rahmen für die Rätsel. Durch die Nicht-Linearität wird sie zum Treiber. Und so finden wir mit The Awakening eine Art analoges Point&Click-Adventure vor, das uns Spaß gemacht hat und bei dem wir uns schon auf die Fortsetzung freuen. Und apropos Fortsetzung: Das System ist – wie auch schon EXIT – unendlich erweiterbar, sogar Lizenzprodukte wären denkbar und gemäß Aussage von Board&Dice wird direkt nach der Messe in Essen mit der Entwicklung des nächsten Teils begonnen.
Board&Dice findet ihr auf der Spiel in Essen in Halle 2 Stand B-106
Vielen Dank an Board&Dice für die Bereitstellung dieses Preview-Exemplars.
Oktober 19th, 2018 by Dirk
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