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Zugegeben, der Titel ist etwas überspitzt. Dennoch bringt er in Teilen zum Ausdruck, worum es mir geht. Schon lange wollte ich mich mal mit den Unterschieden und Gemeinsamkeiten von Brett- und Videospielen beschäftigen und irgendwie greife ich diesen einen Aspekt endlich mal auf.
Ich habe heute leider keine Anleitung für dich…
Bei Videospielen fällt eines auf: Es gibt im Grunde keine Anleitung. Zumindest keine offizielle und vor allem keine, die im Detail erläutert, was passiert wenn X auf Y trifft. Es wird zwar gesagt, was man bspw. durch einen Druck auf den Knopf X auslöst (bspw. ein Pass beim Fußball-Spiel), aber mehr auch nicht. Ist ja auch logisch, das macht ja das Spiel. Und betrachtet man Videospiele wie Super Mario Bros. kann man eigentlich gleich losspielen. Steuerkreuz zum Laufen, die restlichen Knöpfe probiert man einfach so aus und schon geht‘s los. Und komplexere Spiele – auch und gerade auf mobilen Plattformen – haben in der Regel ein Tutorial. Ich frage mich immer, warum die Verlage etwas vergleichbares bei Brettspielen nicht regelmäßig schaffen. Gerade für alles im Bereich Ameritrash und storybasierte Spiele müsste das doch eigentlich klappen.
Klar geworden ist mir das beim Spiel Village Attacks. Eigentlich kein kompliziertes Spiel. Und dennoch muss man zunächst einige Seiten in der relativ ausführlichen Anleitung lesen, bevor man loslegen kann. Diese ist zwar gut gemacht und lässt keine Fragen offen, aber ich muss vorneweg erst mal 12 Seiten lesen, bevor ich anfange. Und auch wenn die Regeln im Verlauf der Kampagnen immer komplexer werden und neue Elemente hinzukommen. Hier – und auch bei anderen ähnlichen Spielen – hätte ich mir eine Art Tutorial gewünscht. Eine Art komplett geskriptete erste Kampagne, in der man die Abläufe des Spiels lernt. Idealerweise sogar mit einem kleinen Video oder einer sogenannten Companion-App, die als kleiner interaktiver Begleiter durch das Spiel leitet. Sicherlich, Ansätze für solcherlei gibt es bereits. Zum Beispiel Die Legenden von Andor (erschienen bei Kosmos). Hier startet man mit einem übersichtlichen Set an Regeln und wird im Spielverlauf sukzessive an die komplexeren Regeln herangeführt. Das hat wunderbar funktioniert. Und dennoch passiert das meiner Meinung nach viel zu selten. Viel häufiger würde ich mir das wünschen. Einfach Schachtel aufmachen, Spiel aufbauen und mehr oder weniger direkt losspielen.
Analog bleibt analog
Und die Möglichkeiten des Digitalen werden auch noch nicht ausreichend genutzt. Kosmos geht beispielsweise mit ihrer Erklär-App bereits seit längerem einen Weg, der schon in eine richtige Richtung weist. Ich weiß nicht, warum diese Dinge nicht so richtig zünden. Denn eigentlich machen sie uns allen das Leben doch leichter – Vielspielern genauso wie Neulingen. Aber anscheinend wollen wir Brettspieler nichts mit digitalen Lösungen zu tun haben. Wir wollen analog bleiben. Dabei bieten sich noch viel mehr Möglichkeiten.
Die Firma Dized liefert mit ihrer App bspw. bereits eine entsprechende Plattform, die nichts weniger verspricht, als dass man ein Spiel im Handumdrehen lernen soll. Ganz ohne Regeln lesen. Und beim Spielaufbau will sie auch schon unterstützen. Klingt nach einem tollen Versprechen und ich wünsche mir sehr, dass es genauso funktioniert. Die Plattform bietet heute schon viele Spiele von ganz einfachen Spielen wie Ice Cool bis hin zu großen komplexen Titeln wie Blood Rage oder Scythe. Klingt doch nach einer guten Sache. Bisher hatte ich leider noch keine Gelegenheit da mal einen näheren Blick reinzuwerfen. Sollte ich vielleicht mal tun, um das Angebot besser beurteilen zu können.
Und dennoch: Irgendwie sträuben wir uns gegen die digitalen Helferlein am Spieltisch. Woran das liegt, kann man nur mutmaßen. Aus meiner Sicht wollen wir das Analoge des Spielens beibehalten und nicht auch noch in dieser Sparte digitalisiert werden. Vielleicht sind wir froh, wenn wir einer Tätigkeit mal ganz ohne Angst um Akkulaufzeiten und Internetverbindungen nachgehen können. Denn genau diese Möglichkeit bieten Brettspiele. Bei Stromausfall im Schein der Kerzen würde man früher oder später zu einem analogen Brettspiel greifen, um sich zu beschäftigen. Selbst Nichtspieler würden die Würfel oder Karten aus der hinteren Ecke der Wohnwand hervorkramen.
Immer gleich aufgebaut – die Brettspielanleitung
Und genau dieses Festhalten am Analogen ist es auch, was es notwendig macht, Spielanleitungen und deren Ansatz zu überdenken. Wenn die Menschen digitale Helfer bei Brettspielen partout nicht annehmen wollen, muss man schauen, wie man die analogen besser machen kann. Viele Spiele bieten die Möglichkeit, bleiben aber trotzdem beim typischen Aufbau einer Spielregel. Und genau dort müsste man mal ansetzen. Einfach mal hinterfragen, ob es wirklich die detailverliebte und bis ins letzte ausgearbeitete Anleitung sein muss. Oder reicht es vielleicht die wichtigsten Regeln zu erklären und in einer Art Einführungsspiel durch eine Runde zu führen?! Alle Details kann man in einer Art lebendem FAQ-Dokument erläutern, das dann u.a. auch digital abgerufen werden kann. So könnten auch evtl. vorhandene Unklarheiten besser (und vor allem offiziell) geklärt werden und Regelfehler schnell und unkompliziert behoben werden.
Vielleicht bin ich da zu vermessen, zu blauäugig und stelle mir das zu leicht vor, aber wünschen würde ich es mir schon. Und man wird ja wohl noch träumen dürfen…
Was denkt ihr? Warum haben es digitale Helfer bei Brettspielen so schwer?
Würdet ihr euch einfachere Spielanleitungen wünschen oder gefällt euch das Heft mit allen Details besser?
Ich persönlich bevorzuge es, wenn ein Mitspieler das Spiel oder zumindest die Spielregeln schon kennt und es den anderen Mitspieler erklärt. Dann kann derjenige nämlich angepasst an die Vorkenntnisse der Mitspieler manche Spielelemente verkürzt, andere ausführlicher darstellen, auf Rückfragen eingehen und durch sprachliche Betonungen das wesentliche hervorheben (er hat ja selber schon einen Überblick).
Wird eine Spielregel erstmalig gemeinsam erarbeitet, bedeutet das ja zumeist, dass einer die Spielregel einfach von vorne bis hinten vorliest, ohne selber eine Idee des Ganzen zu haben. Betonen wird dann schwierig und Rückfragen oder Eingehen auf den Kenntnissstand der Mitspieler ist nicht möglich. Wer bestimmte Spielmechanismen kennt, langweilt sich, wenn diese nochmal ausführlich erklärt werden, ermüdet und passt bei wichtigeren Stellen nicht mehr so gut auf.
Video-Anleitungen mögen zwar das Lesen der Regeln überflüssig machen, aind aber auch nur eine lineare Aufbereitung der Spielregel, ohne Möglichkeit auf Rückfragen oder Vorkenntnisse einzugehen.
Los-Spiel-Anleitungen, also Anleitungen, die erstmal,nur das wesentliche erklären, und dann im Laufe einer ersten Partie nach und nach Spielregeln einführen/erklären, können da ein guter Kompromiss sein. Bei Die Siedler von Catan gab es das schon lange bevor es Youtube und Apps gab. Und es hat diesem Spiel möglicherweise zu seinem Erfolg geholfen. Ein Spiel des Jahres, das Familien nicht nur gekauft, sondern auch verstanden und gespielt haben. Allerdings eignen sich Los-Spiel-Anleitungen m.E. nicht für alle Spiele. Denn dadurch verlängert sich die Erklär- bzw. Lernphase eines Spiels doch erheblich. Das erste Spiel wird geführt gespielt, man macht keine eigene Entscheidung, sondern spielt die Züge aus der Anleitung nach. Bei Legecy-Spiele wie Rise of Queensdale wird das Los-Spielen gar zum Hauptmechanismus, Regeln werden erst während des Spiels eingeführt, gelten erst ab bestimmten Ereignissen oder werden auch wieder gestrichen und verändern somit das Spiel im Laufe mehrerer Partien.
Zwar hängt es auch vom Spiel ab, ob Video-Anleitungen, Los-Spiel-Konzepte oder App-gestützte Erklärungen funktionieren. Ich denke aber, dass viele erfahrene Spieler die Spielregeln gerne schon vor dem ersten Spiel komplett erfasst haben wollen, um eine eigene Strategie zu entwickeln und nicht von Regeln überrascht zu werden, die ihre Strategie zunichte machen, die aber erst später erklärt werden.
Ich fände es trotzdem schön, wenn sich Verlage mehr daran versuchen würden, den Spielregeln, die ja die wichtigste Einstiegshürde ist, einen leichteren Einstieg mitzugeben.
Ak besten wäre, jedem Spiel löge ein menschlicher Erklär-Kobold bei, der das Spiel erklärt und dabei ganz individuell auf die aktuelle Spielrunde und deren Rückfragen eingehen kann. Vielleicht klappt das ja irgendwann mit einer App, einer Interaktion via Sprache und ganz viel KI. Solange das nicht geling, besuche ich die vielen Spielemessen, um mir Spiele vom Verlagspersonal erklären zu lassen (und lese die Regel dann am nächsten Tag durch, um mir die Details einzuprägen). Aber auch hier könnten die Verlage gerne etwas mehr Geld investieren, bekommen viele Erklärer die Spielregeln erst ein, zwei Tage vor den Spielemessen und müssen sich die Regeln ganz ohne Hilfe erarbeiten. Das führt dann zu fehlerhaften Erklärungen, die teilweise wichtige Elemente betreffen.
Eine analoge Anleitung kann ich auch in 10 Jahren noch lesen.
Ob die App/ Programm das mir das Spiel erklären soll in 10 Jahren noch läuft bzw. von den Verlagen immer an die neuste Version angepasst wird bezweifel ich.
Seit vielen Jahren beschäftigen sich die Redakteure vieler deutscher Verlage gemeinsam mit genau dieser Fragestellung. Vorneweg: Eine einheitliche Lösung gibt es nicht. Und mein Gefühl sagt mir, dass wir von der auch noch weit entfernt sind … bis hin zu “möglicherweise unmöglich”.
Ich greife mal zwei Punkte des kurzen Artikels auf – ansonsten würde ich hier kein Ende finden. 😉
1. Digitale Unterstützung:
Ich gebe allen vollkommen Recht, die sagen, dass eine digitale Unterstützung eine sehr große Hilfe ist, sei es als ordentliches Erklärvideo, sei es als App, die in Form eines Tutorials ins Spiel hineinführt.
Ich widerspreche aber auch gleichzeitig, dass dieses eine flächendeckende Lösung sein kann oder in der Zukunft sein wird!
Meiner Erfahrung nach ist der Prozentsatz derer, die Erklärvideos zum Erlernen eines Spiels nutzen, viel zu gering, um an der Stelle große Investitionen als Verlag zu tätigen. Vielleicht haben andere Verlage hier bessere Werte, aber die Nutzung unserer QR-Codes auf den Schachteln oder in den Spielregeln, um direkt zum Erklärvideo des jeweiligen Spiels zu gelangen, ist so gering, dass man sich durchaus fragen muss, ob der Aufwand dahinter überhaupt gerechtfertigt ist.
Und Aufwand ist an der Stelle ein gutes Stichwort. Ordentliche Verlage sind keine Hobby-Projekte, sondern dienen als ernsthafte wirtschaftliche Unternehmen, die am Ende unterm Strich eine Zahl stehen haben müssen, die zum Leben ausreicht. Und zwar für alle Beteiligten. Ich sehe, wie viel Aufwand (zeitlich, personell) in die Erklärvideos unserer Spiele gesteckt werden. Das umzurechnen ist nicht schwer, so dass ich ungefähr sagen kann, was ein bei uns im Haus gemachtes Video nur auf dieser Ebene kostet. Externe Dienstleister zu nutzen, um diesen Part zu nehmen, wäre sicherlich professioneller, aber auch ungleich teurer, so dass es bei den meisten Verlagen wohl auch aus dem Grund überhaupt nicht in Frage kommen kann. Denn alles, was sich rings um ein Spiel abspielt, muss auch in die entsprechenden Kalkulationen aufgenommen werden. Und diese sind sowieso in den allermeisten Fällen schon extrem eng.
Wenn ich bedenke, wie wir schon bei jeder Kleinigkeit rechnen, um am Ende ein Produkt auf den Markt bringen zu können, das sowohl dem Verlag “Spaß” macht, den Autor und den Illustrator ordentlich entlohnt UND dem Kunden nicht zu teuer vorkommt, will ich überhaupt nicht anfangen nachzudenken, was es bedeutet, noch eine zusätzliche Video-Produktion in diese große Kalkulation einzubauen. (Reicht schon, all die Rezi-Exemplare mit einberechnen zu müssen. ;-))
2. Einfacher Einstieg / Bessere Struktur der Spielregeln:
Kann man das machen? Ganz klare Antwort: JEIN. 🙂
Auf so viele verschiedene Weisen wurde in der Vergangenheit versucht, den Einstieg in ein Spiel durch das Regelwerk zu vereinfachen. Einstiegsszenarien, vereinfachte erste Partie, geführte Spielrunde, Spielaufbau separiert von der eigentlichen Spielregel (um zu zeigen, dass diese eigentlich gar nicht so umfangreich ist, wie sie im ersten Moment den Eindruck vermittelt) … aber nichts hat sich durchgesetzt. Und warum ist das so? Weil Spiele – Achtung Phrasenschwein – individuell sind und damit auch die Spielregeln dazu.
Die “Schuld” am schweren Einstieg wird auch in den aktuellen Twitter-Kommentaren zum Teil den Autoren, zum Teil den Redakteuren in die Schuhe geschoben. Sicherlich sind diese nicht unbeteiligt an dem, was sich dem Spieler schließlich an Regelwerk bietet – aber bitte nicht nur allein. Ich will aber ein klein wenig ausholen in dem Punkt.
Der Autor:
Dieser gestaltet in erster Linie zunächst ein Spiel, das IHM gefällt, mit dem ER Spaß hat. Die Regeln ergeben sich meist in der Entwicklung, auch seine engeren Testgruppen wachsen meist mit den Regeln mit. Für die alle ist das am Ende nicht wirklich kompliziert, sie haben ja die ganze Entwicklung mitgemacht.
Der Redakteur (als Teil des Verlages):
Dieser sucht nach Spielen, die zu seinem Verlag passen, um diese dann im besten Fall zusammen mit dem Autor fertig zu entwickeln. Nach welchen Kriterien ein Redakteur ein Spiel auswählt, ist in aller Regel sehr individuell. Der eine sucht den Spielspaß, der andere die Geradlinigkeit – hier gibt es viel Spielraum. Und das ist auch gut so.
Meine ganz persönliche Meinung, was ein gutes Spiel ausmacht: EIN klar erkennbarer Kern des Spiels, um den herum sich alles geschmeidig einfügt. Je stimmiger ein Gesamtkonzept ist, um so einfacher wird es nachher nicht nur sein, die Spielregeln dazu zu schreiben, sondern vor allem auch diese zu verstehen. Je mehr “Nebenschauplätze” eine Spielregel mitbringt, um so unintuitiver wird es für den Leser, um so schwerer wird es, beim einfachen Lesen die Spielregel zu verstehen und umsetzen zu können.
Zusammenspiel Autor – Redakteur:
Die ideale Welt sieht so aus, dass ein Redakteur in Zusammenarbeit mit dem Autor des Spiels ebenjenes so auf den Punkt bringt, dass es stimmig, verständlich, gut zu vermitteln ist – und das bei maximalem Spielspaß. Das ist nicht immer möglich. Manches Mal muss man Kompromisse gehen in der Entwicklung. Das kann einzelne Mechanismen betreffen, auf die der Autor besteht (“sonst unterschreibe ich den Vertrag nicht”), das können kalkulatorische Gründe sein (manches ist einfach nicht vernünftig umsetzbar UND bezahlbar … sei es das xte Stanztableau, seien es kompliziert gestaltete Spielsteine, seien es Mengen an Holzwürfelchen o. ä.). Ich habe selbst schon einige Spiele gemacht in meinen 15 Jahren Redakteursdasein, bei denen ich gerne mehr gemacht hätte – ein “mehr”, das dem Spiel in dem Moment auch behilflich hätte sein können.
Kurzum: Funktioniert dieses Team nicht, ist es oft auch in den Spielen zu sehen, die am Ende dabei rumkommen. Und ich gebe zu: Ich habe eine Handvoll Autoren, mit denen ich aus diesen Gründen nur im äußersten Ausnahmefall ein Spieleprojekt machen wollen würde. Das ist nur menschlich. Und normal.
So, nun habe ich Autor und Redakteur mit der “Schuld” beladen, doch es gibt noch zwei weitere Ansatzpunkte an der Stelle. Die führe ich im Folgenden auf.
Der Illustrator:
Es gibt gute und weniger gute. Da verrate ich niemandem etwas neues. Wir haben in der Spielebranche das ganz große Glück, sehr viele sehr gute zu haben. Das liegt beileibe nicht an der fürstlichen Entlohnung (es ist eher ein Wunder, dass es TROTZ dieser so gut klappt), sondern an der Leidenschaft, die von den meisten Illustratoren in die Projekte gesteckt werden. Aber Vorsicht: Auch ein Illustrator macht am Ende vor allem das, was ihm von Seiten des Auftraggebers genannt wird. Und auf Seiten des Auftraggebers sitzt oft nicht nur der Redakteur, der seine Wünsche umgesetzt haben will.
Und schließlich …
DER SPIELER:
Wie der Bahnreisende für die Bahn ist manches Mal der Spieler für den Verlag/Redakteur … man braucht ihn, man will ihn zufrieden stellen … aber er will es nicht einsehen, dass man alles dafür getan hat, was man in dem Moment machen konnte. 😉
Im Ernst – und da kann jeder Redakteur, jeder Verfasser einer x-beliebigen Spielregel, ein Lied davon singen: Es ist unmöglich, eine Spielregel zu erstellen, die ohne Einschränkungen von den Lesern angenommen wird. Das umfasst nicht nur die umfangreichen Regelwerke der “großen” Spiele, das geht runter bis zu einfachen Familienspielen und sogar in die Kinderspiele hinein. Provokativ formuliert: (Deutsche) Spieler haben immer wieder den Drang, Fehler in Spielregeln zu suchen. Und die werden sie, solange es Interpretationsspielraum in einzelnen Passagen gibt, auch immer finden. Aber warum tun sie das? Warum diskutieren sie sich nen Wolf oder eine Spielregel kaputt? Diese Frage zu beantworten sehe ich mich leider nicht in der Lage.
Ich nenne mal ein ganz konkretes Beispiel aus meinem Redaktionsalltag: Halli Galli.
Die Regel sagt: “Wann wird geklingelt? Sobald genau fünf gleiche Früchte offen auf den Ablagestapeln sichtbar sind, […]”
In den folgenden zwei Sätzen wird noch einmal “genau fünf” betont, zum Teil mit Fettdruck, damit es auch wirklich keiner übersehen kann – inkl. Spielbeispiel.
Nun kommt einmal im Jahr die Frage eines Kunden: “Und was passiert bei sechs gleichen?” Natürlich nichts. Natürlich? Ja, natürlich. Denn da steht ja “Bei GENAU FÜNF gleichen …”. Die meisten (!) sehen das dann auch ein, dass hier das Wörtchen “genau” den Unterschied macht. Doch leider nicht alle.
Das war ein sehr einfaches Beispiel, das aber zeigt, wie wir als Schreiber von Regeln kämpfen müssen. Es wäre natürlich ein leichtes, hier gemäß der heiligen Handgranate von Antiochia alle möglichen anderen Fälle außer “genau fünf” aufzulisten, aber das würde – und das ist ja durchaus ein Kritikpunkt an anderer Stelle – die Spielregel gleich mal aufblähen. 99% der Leser würden nachher sagen: Das ist doch logisch, warum muss man den ganzen Quatsch denn extra mit aufführen. Meine Meinung: Recht hätten sie damit …
Aus meiner Erfahrung heraus kann ich sagen: Die allermeisten Regelfragen, die von Spielern kommen, können durch ein pures Zitieren der Spielregeln beantwortet werden.
Nun bin ich doch ins Plaudern gekommen – sorry. Aber wie schon beschrieben beschäftigt mich das Thema schon seit sehr langer Zeit. Abgesehen davon gehört es zu meinem Arbeitsalltag als Redakteur. Deswegen will ich mal eine kleine Zusammenfassung für mich selbst machen:
Was will der Spieler von einer Spielregel?
-> Sie soll verständlich und am besten auch unterhaltsam sein.
-> Sie soll fehlerfrei sein.
-> Sie soll genau sein und alle möglichen Fragen beantworten.
-> Sie soll so kurz wie möglich sein.
Auf den ersten Punkt kann ich erwidern: Das liegt am Talent dessen, der schreibt. Da gibt es Unterschiede – und auch Vorlieben der Leser. (Da nehme ich mich nicht aus … es gibt Anleitungen, die ich lieber lese als andere … und ich lese pro Jahr im Schnitt nach eigenen groben Schätzungen 300-400 Stück … wenn nicht mehr.)
Der zweite Punkt liegt zum einen am Redakteur selbst, zum anderen an der Bereitschaft, Lektoren hinzuzuziehen. Das wird bei verschiedenen Verlagen leider unterschiedlich gehandhabt. Der Effekt eines guten Lektorats wirkt sich aber sehr schnell positiv aus.
Bleiben der dritte und der vierte Punkt. Und diese hängen sehr eng zusammen. Denn sie sind im Grunde nicht vereinbar. Beantworte ich jede Frage in einer Spielregel schon von Beginn an, kann ich sie nicht mehr kurz halten. Halte ich die Spielregel kurz, werde ich zwangsläufig nicht jede Frage detailliert und unmissverständlich beantworten können.
“Was nicht verboten ist, ist erlaubt.” – das wäre eine einfache Herangehensweise. Nur leider funktioniert sie bei vielen Spielern in unserer Szene nicht. Meine Erfahrung zeigt, dass der Spieler in unseren Kreisen immer genau wissen will, was er tun DARF. Er will nicht wissen, was ihm verboten ist. Meistens jedenfalls.
Ein gutes Beispiel für ein Spiel, das bei mir persönlich so unendlich viele Regelfragen aufgeworfen hat: “Terraforming Mars”. Das Spiel kommt mit relativ wenig Regelwerk daher für ein Spiel dieser Gewichtsklasse. Gut, es handelt sich bei der Spielregel um eine regelrechte Bleiwüste, bildliche Darstellungen zur Untermalung des geschriebenen sind eher Mangelware. Aber es ist eine Spielregel, die scheinbar ganz gut funktioniert, sonst hätte das Spiel doch nicht diesen Erfolg. Oder? Nun stelle man sich aber mal vor, die Spielregel hätte ALLE Fragen abgedeckt, die sich die Spieler in den vergangenen 2-3 Jahren stellten. All die verschiedenen Plättchen, all die Kartenfunktionen, all die Konstellationen, die entstehen können durch verschiedene Kombis. Und man stelle sich mal vor, die Spielregel würde mit ordentlichen Beispielen arbeiten, die das Verständnis in einzelnen Punkten deutlich verbessern könnte. Dann hätten wir eine Spielregel, die mindestens doppelt bis dreimal so umfangreich wäre. Und dann würde sie keiner mehr in die Hand nehmen wollen.
Bleibt am Ende die immer wieder gestellte Frage: Wie wäre eine Spielregel denn nun wirklich besser bis hin zu optimal aufgebaut, strukturiert, geschrieben und gestaltet? Wer die Lösung hierfür kennt, ist herzlichst zum Redakteursseminar im Juli in Göttingen eingeladen für einen kleinen Vortrag. Spesen werden in diesem Fall von der Veranstaltung gerne übernommen. 😉
Mein kleines Schlusswort an der Stelle:
Ich hätte große Lust, mit Spielern über dieses Thema nicht nur in einem Chat, Forum oder sonstwie vergleichbar zu diskutieren, sondern zusammen an einem Tisch sitzend. Ich würde gerne Beispiele betrachten und konstruktiv darüber reden, was von deren Seite “besser” gemacht werden würde. Wenn also Interesse besteht … ich bin flexibel, was Raum und Zeit betrifft. Ich würde mich freuen. 😉
Stichwort schlecht geschulte Erklärer auf Messen:
Wer sind denn “die Verlage”? Das klingt immer so pauschal, wenn ich von “die Verlage” lese. Gibt es hier konkrete Beispiele für Verlage auf der Messe mit schlecht geschulten Erklärern?
Hallo,
na dem ist kaum was hinzuzufügen. Ein wirklich sehr ausführlicher Kommentar, der das Thema von vielen Seiten beleuchtet. Mir macht das Lesen von Spielanleitungen sehr viel Spaß und erkläre Spiele vorrangig auf der Messe in Essen. Im Laufe der Zeit habe ich für unterschiedliche Verlage Spiel erklärt. Manche Anleitungen sind grauenhaft und manche sehr gut. Spielanleitungen sollten in der Reihenfolge aufgebaut sein, wie ich jemandem das Spiel erklären würde. Von einer App halte ich gar nichts. Spiele sollten möglichst von Spielern für Spieler erklärt werden. Das ganze nicht bierernst sondern mit Humor. Das kann keine künstliche Intelligenz. ?
Die Idee mit dem Austausch finde ich sehr gut. Stehe zur Verfügung.???
Gruß
Norbert