Lesezeit: 5 MinutenSommerzeit ist Urlaubszeit, deshalb haben wir Grand Austria Hotel (erschienen bei Lookout) zum wiederholten Mal auf dem Tisch gelegt.
Wie es gespielt wird
Die erste Einschätzung vor dem ersten Spiel bestätigt sich auch im zweiten Spiel: Der Grundmechanismus und der Ablauf des Spiels sind eigentlich zunächst sehr einfach: Lade Kunden in dein Kaffeehaus ein, nimm einen Würfel von einem Aktionsfeld und führe diese Aktion aus, bediene Kunden – sofern du die passenden “Rohstoffe” (Strudel, Torte, Kaffee, Rotwein) hast – und lasse sie in dein Hotel einziehen. Soweit so gut. Wie aber bereits vermutet steckt die Tücke hier im Detail…
Durch die zahlreichen Optionen gilt es abzuwägen, welchen Kunden man in sein Hotel einlädt (in diesem Spiel entscheidet nämlich der Hotelier, wer in seinem Hotel verweilen darf), ob man eine Personalkarte ausspielt, ein neues Zimmer vorbereitet (Achtung: hier muss man auf die Farbe der noch im Kaffeehaus befindlichen Gäste achten!) oder oder oder…
Und damit nicht genug: Wer möchte kann sich in der Politik engagieren und bei Erfüllen bestimmter Bedingungen bis zu 15 Punkte ergattern. Im Endeffekt handelt es sich bei den Politikkarten, die übrigens in jedem Spiel in anderer Kombination auftreten können, um so eine Art Auftrags- oder Bedingungskarten, die man auch aus anderen Spielen kennt. Wer die Bedingung zuerst erfüllt erhält 15 Punkte, der zweite zehn und der dritte noch fünf Punkte, der vierte schaut in die Röhre.
Und schließlich schaut in den Runden drei, fünf und sieben noch der österreichische Kaiser vorbei und liefert Belohnungen ab…vorausgesetzt man steht auf der Kaiserleiste hoch genug – ansonsten gibt es nix oder (bei null Punkten) sogar eine teils üble Bestrafung. Auch diese Bedingungen sind variabel und werden zu Beginn des Spiels verdeckt gezogen und ausgelegt.
Und da das auch noch nicht reicht, kann man durch geschicktes Ausbauen und Belegen des Hotelplans noch Sonderwertungen auslösen, die dann Geld, Siegpunkte oder Plätze auf der Kaiserleiste einbringen.
Mechanisch gesehen wird das Spiel von den Würfeln angetrieben. Man wirft zu Beginn der Runde eine spielerzahlabhängige Anzahl an Würfeln und ordnet sie den sechs Aktionen zu. Die Anzahl der zugeordneten Würfel zu jeder der Aktionen hat dabei Implikationen auf die Aktions-Menge, die ich bei Wahl der Aktion nutzen kann. Liegen bspw. drei Würfel auf dem Aktionsfeld “Räume vorbereiten”, kann ich bis zu drei Räume vorbereiten und entferne anschließend einen Würfel vom Aktionsfeld. Das Vorbereiten der Räume kostet dann mitunter noch mal Geld, so dass ich nicht immer die maximale Anzahl nutzen kann, aber bis zu drei sind zunächst mal möglich. Wählt der nächste Spieler ebenfalls diese Aktion liegen nun nur noch zwei Würfel dort und er kann nur noch bis zu zwei Räume für seine Gäste vorbereiten. Ein toller und eleganter Mechanismus, der einem zunächst etwas glückslastig erscheint. Aber die Passen-Regel ist unserer Meinung nach essentiell, da sie es erlaubt auf ein bestimmtes Ergebnis hinzuwürfeln und sich nicht mit dem erstbesten Würfelwurf zufrieden zu geben. Dazu passt man und wenn alle anderen Spieler in der Runde fertig sind, darf man sämtliche verbliebenen Würfel neu würfeln, muss allerdings einen Würfel zuvor entfernen. Man kann dabei sooft passen wie man mag, bis am Ende nur noch en Würfel übrig ist. Kunden und Personalkarten sind die die nötige Sahne zum Strudel, denn sie erlauben vielfache Manipulationen und Sonderaktionen, die natürlich auch die Aktionsmöglichkeiten deutlich erweitern.
Das Zusammenspiel der Mechanismen ist meines Erachtens die wahre Leistung an diesem Spiel. Sehr einfach und elegant und dennoch komplex. Ein Leckerbissen für Vielspieler und leider etwas untergegangen. Vielleicht schafft es Grand Austria Hotel ja doch noch, die Aufmerksamkeit der Vielspieler zu erlangen. Verdient wäre es allemal…
Was uns gefallen hat
Der Spielablauf muss zunächst noch etwas mühsam einstudiert werden und die ersten zwei bis drei Runden tut man sich noch etwas schwer damit. Insbesondere dadurch, dass man neben der regulären Aktion auch durch die Zusatzaktionen immer noch gefühlte 1.000 Möglichkeiten hat etwas anders (und ggf. besser?) zu machen. Aber in der zweiten Partie lief es bereits ab Runde zwei richtig rund.
Sehr gut hat uns gefallen, dass das Spiel in allen Besetzungen zu funktionieren weiß und sich somit auch für Partien zu zweit sehr gut eignet. Allerdings dauert es zu viert dann auch deutlich länger.
Der Spaß kam auf jeden Fall nicht zu kurz, da man sich immer wieder über die Kundenkarten erfreuen konnte (z.B. der Maler, der drei Rotwein trinkt und nur ein Stück Strudel als Alibi dazu bestellt ;-)) oder aber hin und wieder einfach seinen Spielzug in Wiener Schmäh ausgeführt hat. Thematisch ist das Spiel stimmig und transportiert alle Tätigkeiten für unser Empfinden gut.
Was uns nicht gefallen hat
Aus spielerischer Sicht fehlt dem Spiel im Gesamtablauf eine gewisse Leichtigkeit bzw. Schnelligkeit, da das Warten auf die anderen Spielzüge insbesondere für den Startspieler sehr lange dauert. Bei vier Spielern machen alle anderen zunächst zwei Züge bis der Startspieler wieder dran ist. Das ist aus unserer Sicht manchmal etwas langwierig – insbesondere wenn gegen Ende der Partien Kettenreaktion durch geschickt genutztes Personal auftreten und die einzelnen Spielzüge sich entsprechend verlängern. Kurzum, die sog. Downtime ist zu viert zu hoch, zu zweit jedoch wiederum kaum vorhanden. Zudem mussten wir uns auch erst an die etwas kompliziert erscheinende “Passen”-Regel gewöhnen, die wir in der ersten Partie nahezu nie eingesetzt haben. Ein Fakt, der sich in der zweiten Partie geändert hat.
Leichte Kritik ist an der Beschaffenheit der Karten zu üben, die meiner Meinung nach für ein Spiel dieser Preisklasse zu billig wirken. Hier hätte man noch etwas mehr investieren dürfen. Ich habe sie in Kartenhüllen gesteckt, dann werden sie etwas stabiler und stoßen sich an den Ecken nicht so schnell ab. Das Spiel bietet natürlich auch ausreichend Potenzial für kleine sowie größere Ausbaumöglichkeiten (bspw. zusätzliche Kunden- und/oder Personalkarten sowie neue/andere Hotelpläne etc.).
Darüber hinaus hätte man, ähnlich wie bei anderen Lookout Spielen üblich, die “Rohstoffe” (Torte, Strudel, Rotwein, Kaffee) durch individuelle Rohstoffmarker in entsprechender Form darstellen können, anstatt die farbigen Standard-Würfelchen zu verwenden. Vielleicht ja eine Idee für eine “Erweiterung”. Pegasus Spiele hat ja mit der Robinson Crusoe Schatzkiste vorgemacht, wie das geht und auch für Orléans bekommt man nun das Fanpaket mit Meeples statt Pappchips. Mittlerweile gibt es bei einigen Versendern entsprechende Pakete mit denen man sein Spiel pimpen kann. So bietet der amerikanische Shop meeplesource ein entsprechendes Paket an. Leider mit 35 Dollar nicht ganz günstig und durch den Versand über den großen Teich eher unsinnig für den europäischen Käufer, da noch mal 8,80 Dollar Versand dazukommen würden.
Ärgerlich ist auch, dass die Beschreibung der Personalkarten in der Anleitung und deren Symbolik teilweise widersprechen, hier wurden einfach in der letzten Optimierung Anpassungen an den Karten gemacht, die dann in der Anleitung leider nicht korrigiert wurden.
Fazit
Insgesamt also ein (noch) komplexeres Spiel als zunächst vermutet mit sehr hohem Wiederspielwert, das sich in erster Linie an Vielspieler richtet. Ambitionierte Gelegenheitsspieler können aber durchaus auch daran Gefallen finden. Die Spieldauer variiert stark mit der Spielerzahl. Zu zweit dürfte man es in etwa einer (guten) Stunde schaffen, zu viert dauert es sicherlich doppelt so lange – es sein denn man hat Grübler dabei, dann kann es ewig dauern. Ärgerlich sind die kleinen Fehler in Regeltext und Kartensymbolik, die einen gerade in der ersten Partie verwirren können. Wir werden es aber wieder spielen, alleine schon, weil es thematisch kaum vergleichbare Spiele gibt.
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Eintrag auf Boardgamegeek
Website des Verlages
September 1st, 2016 by Dirk