Januar 10th, 2018 by Dirk
Lesezeit: 6 Minuten

„Verdammtes Kampfschwein! Warte nur, bis ich dir dein Bierdepot mit meinem Knochenbrecher gestürmt und geplündert habe!“

Bei Vikings Gone Wild geht es hoch her und es wird ordentlich ausgeteilt. Die Folgen davon bleiben aber stets überschaubar. Vikings Gone Wild ist einer der Titel von Corax Games, dem kleinen Verlag im großen Firmennetzwerk der Spieleoffensive (ein Interview mit Frank Noack findet ihr hier). Schon vor einiger Zeit erhielt ich ein Exemplar der Retailversion zum Test. Mit Manu von Insert Moin podcastete ich mich schon mal durch das Spiel. Zeit, meine persönlichen Eindrücke noch mal für die Allgemeinheit niederzuschreiben.


Wie Vikings Gone Wild gespielt wird

Spielbrett von Vikings Gone Wild

Brett für Karten – bei Vikings Gone Wild geht es luxuriös zu

Vikings Gone Wild ist ein Deckbuilder. Also ein Spiel, bei dem man mit einem eher schlechten Satz an Karten beginnt und sein Kartendeck im Verlauf des Spiels verbessert. Dabei kommt bei Vikings Gone Wild jedoch eine Besonderheit hinzu. Im Gegensatz zu den klassischen Vertretern des Deckbuilding wie Dominion, baut man bei Vikings Gone Wild nebenher sein Dorf in Form von Gebäudekarten auf und aus. Die Gebäudekarten bestehen aus dem Gemeindehaus, einem Bierdepot, einer Goldschmiede sowie weiteren Spezialgebäuden, die man im Spielverlauf erwerben kann. Um mit seinem Ausbau und den Kämpfen gegen die anderen Wikinger voranzukommen, liegen auf dem Spielplan (ja genau, ein Kartenspiel mit einem überdimensionalen Spielbrett) weitere Karten aus. Gebäudekarten, Einheitenkarten, die besonders mächtigen Karten der göttlichen Gunst sowie Karten auf Odins Pfad. Aus all diesen Karten speist sich mein Deck im Verlauf des Spiels.

Der Spielzug gleicht dabei dem klassischen Deckbuilding-Schema: Karten aufziehen, ausspielen, Effekte auslösen, neue Karten kaufen, nächster Spieler. Die Karten aus der Auslage kaufe ich entweder mit Bier oder Gold. Dabei ist es egal, ob das Bier/Gold in Form von ausgespielten Handkarten oder mit den Ressourcenmarkern auf meinen Gebäudekarten bezahlt wird. Einziger Unterschied ist, dass ich Ressourcen von meinem Gebäude abgebe und ausgespielte Bier-/Gold-Karten in meinem Kartensatz verbleiben.

Interessant wird es bei den Angriffen. Ich kann (bzw. muss) bei Vikings Gone Wild meine Mitspieler nämlich attackieren. Das bringt mir Punkte (a.k.a. Ruhm & Ehre) und zum Teil auch noch andere Boni wie beispielsweise (was sonst?) Bier oder Gold. Die erhaltenen Punkte werden direkt auf der Punkteleiste gutgeschrieben. Kaputt geht bei so einem Angriff übrigens nichts. Immerhin wird das Gebäude mit einem Schadensmarker belegt und darf diese Runde nicht noch mal angegriffen werden – auch nicht von den anderen Spielern. Zusätzlich kann man Aufträge, wie das Errichten eines Gebäudes, erfüllen und bekommt dafür ebenfalls Punkte. Die Siegpunkte sind schon während des Spiels wichtig, da man durch Erreichen bestimmter Stufen auf der Siegpunktleiste neue mächtige Karten erhält – die sogenannte göttliche Gunst. Und wer gar noch Ressourcen für einen Angriff übrig hat, der greift einfach den armen, auf den Spielplan aufgedruckten Draco an, das gibt immerhin auch ein wenig Gold oder Bier.

So spielt man Runde um Runde, verbessert seine Fähigkeiten, Einheiten und Gebäude und greift munter seine Gegner an, um Punkte zu sammeln. Bei Erreichen einer bestimmten Punktzahl endet das Spiel dann beim Spieler rechts neben dem Startspieler, der durch Thors Hammer zu Beginn gekennzeichnet wurde.


Was uns an Vikings Gone Wild gefallen hat

Zunächst sollte man wissen, dass Vikings Gone Wild auf einem Free-to-play-Videospiel basiert. Somit sind Grundstory und Spielziel an dieses angelehnt. Das ist erst mal kein Problem, man sollte es aber zumindest mal gehört haben, erklären sich vielleicht so gewisse Besonderheiten. Dementsprechend ist die Grafik des Spiels hemmungslos überzeichnet und historisch nicht gerade korrekt – Stichwort Hörnerhelm. In diesem Fall komplett in Ordnung und wirklich zum Teil sehr amüsant und lustig. Die Grafik holt vor allem auch Nichtspieler, und von diesen vor allem auch jüngere Menschen, gut ab. Wahrscheinlich auch, weil es an die entsprechenden Computerspiele erinnert, deren Smartphone-Pendants mir immer durch App-Symbole mit schreienden Menschen mit Helm und/oder Krone auffallen.

Startspielermarker von Vikings Gone Wild

Ohne geht‘s nicht mehr – Startspielermarker von Vikings Gone Wild

Dazu kommt auf der positiven Seite, dass Vikings Gone Wild ein vergleichsweise gut zu lernendes Spiel ist, das einen wirklich einfachen Zugang zum Genre Deckbuilding bietet. Wenig Geschnörkel und Sonderregeln stehen dem Erklärbär hier im Weg und so ist das Spiel eigentlich jedem halbwegs versierten Spieler innerhalb weniger Minuten erklärt. Es eignet sich fast zum „Einfachdrauflosspielen“, wenn man mal die Grundmechanik erklärt hat, denn der Rest ergibt sich aus dem Spielgeschehen.

Ich mag dazu die Idee, dass man beim Deckbuilding nebenher auch noch ein kleines Aufbauspiel betreibt, das macht die Aktionen und Angriffe einfach anfassbarer und nicht so anonym wie bei manchem anderen Deckbuilder.

Schön auch, dass man angreifen kann, der Gegner aber nicht auf einem Trümmerhaufen sitzen bleibt. Das ist bei einem familientauglichen Spiel auch wirklich nötig, sonst sind die Kids schnell beleidigt, wenn der Papa ihnen dauernd die Bierdepots zerbombt.

Die Spieldauer ist einigermaßen überschaubar und eignet sich auch gerade noch für eine Extrapartie an einem Spieleabend – bei weitem aber nicht auf Absacker-Niveau.


Was uns an Vikings Gone Wild nicht gefallen hat

Vikings Gone Wild liefert zwar solide Deckbuilding-Mechanik garniert mit einem kleinen Aufbau-Spielchen, mehr aber auch nicht. Es gibt durch die Vielzahl der Karten mehr vor zu sein, als es dann tatsächlich ist. Die Variabilität ist aufgrund der Vorgabe, stets alle Karten auszulegen, doch erheblich eingeschränkt. Verglichen mit einem Dominion, das bereits in der Grundversion zig unterschiedliche Auslage-Kombinationen ermöglicht, bleibt Vikings Gone Wild hier ärmer an Möglichkeiten. Im Endeffekt liegen immer alle Karten auf dem Tisch, nur die Reihenfolge in der sie auftauchen variiert von Spiel zu Spiel. Mir fehlt insgesamt die Freiheit wählen zu können, wann ich welche Kartenart in mein Deck integriere. Bei Vikings Gone Wild bin ich entweder auf die Standardkarten beschränkt oder auf das Glück, dass die passenden Karten in Odins Pfad aufgedeckt werden.

Bier und Gold - die beiden Währungen von Vikings Gone Wild

Bier und Gold – die beiden Währungen von Vikings Gone Wild

Dazu gibt es hier meines Erachtens trotz aller Überschaubarkeit einfach zu viel Micro-Management in einem Zug. Als Spieler habe ich einfach zig Möglichkeiten meine Karten auszuspielen und mit den beiden Währungen Bier und Gold zu bezahlen. Manch einem Mitspieler vergeht dabei die Lust darauf zu achten, was man tut. Die Kettenzüge gibt es auch bei anderen Spielen, aber hier sind sie manchmal elendig nervig. So kann man durch eingeschobene Angriffe auf Draco zusätzliche Rohstoffe erhalten und wahlweise mit Karten oder Rohstoffen auf den Gebäuden bezahlen. Dabei noch zwei unterschiedliche Arten der Währung. „Na, mach du mal…“ war ein häufig gehörter Satz am Spieltisch, während man sich einfach der Planung des nächsten Spielzuges widmet.

Die Kämpfe verlaufen zwar familienfreundlich ohne Schaden, wirklich thematisch oder befriedigend ist das aber irgendwie nicht. Alleine eine kleine Beute von einem Bier oder Gold vermag man mal zu ergattern, den Gegner wirft das in der Regel nicht wirklich zurück. Jeder Angriff dient nur dem eigenen Voranschreiten auf der Siegpunktleiste, um so das Ende des Spiels herbeizuführen oder eine zusätzlich Karte zu erhalten.

Und dann noch die Missionskarten. Die sind wirklich unglaublich langweilig und werden ihrem Namen bei weitem nicht gerecht. Der Sinn erschließt sich mir wirklich nicht. „Baue ein Gebäude“ ist doch keine Mission! Das ist Bestandteil des normalen Spiels und das mache ich ohnehin. Von Missionskarten erwarte ich, dass sie mich vor die Entscheidung stellen, ob ich mein Dorf weiter ausbaue und durch Angriffe Punkte mache oder einen alternativen Weg auf der Suche nach Punkten einschlage. Zwar sind die späteren Karten etwas schwieriger zu erfüllen, aber auch diese sind nicht wirklich so, dass ich sie als „Mission“ wahrnehme. Vielmehr erfüllt man sie so nebenbei. Möglicherweise sind das Achievements aus dem Computerspiel, die man hier in das Spiel übernommen hat.

Noch ein Wort zu den Karten in Odins Pfad: Warum hier Zombies als Gegner auftauchen, weiß ich wirklich nicht. Klar, Vikings Gone Wild ist ein überdrehtes Spiel und da darf man auch mal Genregrenzen durchbrechen, aber Zombies?! Ich weiß nicht.

Und dann ist da noch Draco. Der auf dem Spielplan aufgedruckte Drache ist sowas wie der bierliefernde Notnagel der Wikinger, wenn noch eine unverbrauchte Angriffskarte übrig ist oder ein Rohstoff fehlt. Er liefert so gut wie keinen Widerstand und ist ein gern gesehener Rohstofflieferant bei allen Spielern. Ob man den wirklich braucht? Wahrscheinlich schon, weil es immer mal die Situation gibt, dass man sich in eine Sackgasse gespielt hat. Da es aber bei Vikings Gone Wild keine Möglichkeit gibt, sein Deck zielgerichtet zu bereinigen und ja auch Gebäude nur als Punktelieferant geplündert und nicht zerbombt werden, ist es meist nur eine Frage der Zeit, bis man wieder ausreichend Rohstoffe zur Verfügung hat.

Zu guter Letzt bleibt die politische Diskussion rund um das Thema Alkohol im Spiel. Hier muss jeder selber entscheiden, wie er mit dem Thema umgehen will. Ein Familienspiel, das als einen der beiden Hauptrohstoffe Bier verwendet, finde ich vor dem Hintergrund anderer medialer Angebote noch vergleichsweise harmlos. Aber dennoch lohnt sich vielleicht noch mal an anderer Stelle die Diskussion darüber, wie Spieleautoren und -verleger den Spagat zwischen künstlerischer Freiheit und gesellschaftlicher Verantwortung schaffen können. Denn auf der einen Seite fordern wir Spieler interessante und neuartige Themenwelten, auf der anderen Seite wird schnell kritisiert, wenn etwas vielleicht zu sehr überzeichnet wurde. Dazu vielleicht dann mal später mehr…


FAZIT zu Vikings Gone Wild

Übersicht des Spielmaterials bei Vikings Gone Wild

Viel Kram zu managen und trotzdem wenig variabel…

Vikings Gone Wild ist ein Familien-Deckbuilder im klassischen Sinne. Dabei bleibt mir das Spiel stets eine Spur zu gleichförmig und es fehlt die Varianz, die mir andere Deckbuilder bieten. Verglichen mit dem Elefant im Raum Dominion bietet es mir zu wenig Abwechslung, jedoch andererseits auch eine Spur zu viel Micro-Management als beispielsweise das DC Deckbuilding Game (auf deutsch bei Kosmos). Dennoch hat mir der Ausflug in die wilde Wikingerwelt auch Spaß gemacht, zumal es sich wirklich angenehm runterspielen lässt. Wem also einfachere Deckbuilding-Spiele wie das DC Deckbuilding Game gefallen, der wird auch an Vikings Gone Wild seine Freude haben. Jedoch ist die Spielzeit zu viert meines Erachtens eine Spur zu lang, wenn es als familienorientiertes Spiel durchgehen soll.

Mittlerweile sind einige Erweiterungen zu dem Spiel erschienen, die ich mir vielleicht noch mal genauer ansehen sollte. Vielleicht lösen sie ja ein paar der von mir genannten Kritikpunkte.

Vielen Dank an Corax Games für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.

Posted in Rezensionen Tagged with: ,